Deming in Deutschland?

Einleitung

Ganz ohne Zweifel ist der Amerikaner W. Edwards Deming eine der Persönlichkeiten, die das industrielle Qualitätsgeschehen weltweit stark beeinflusst haben.

Die Japaner bezeichnen Deming als 'Vater der Qualitätsbewegung' in ihrem Lande. Sie hat wesentlich zur wirtschaftlichen Erholung beigetragen, indem sie japanische Waren neue wichtige Märkte erschloss. Ausdruck der denkbaren Anerkennung dafür ist der von der Union of Japanese Scientists and Engineers gestiftete 'Deming-Preis', der seit 1951 jährlich einmal für eine besonders gute organisatorische Gestaltung des Qualitätssicherungssystems verliehen wird. Walter Masing

Durch Anwendung neuer Methoden versuchen heute viele Unternehmen, Anschluss an den Weltstandard bezüglich Qualität und Produktivität zu erreichen. Dabei werden oft vermeintliche Patentrezepte übernommen, wie z.B. Qualitätszirkel oder SPC. Früher oder später stösst man dann auf Grenzen, die in Stagnation und letztlich in der Einstellung dieser Versuche enden. Es wird dabei verkannt, dass eine einseitige Anwendung eines Werkzeuges keineswegs ausreichend ist, sondern beständiges Verbessern bestehender Prozesse erforderlich ist, um nachhaltige Fortschritte zu erzielen. Über den Begriff 'Ständige Verbesserung' [1] stösst man dann sehr schnell auf den Namen Deming, der hierzulande der breiten industriellen Führungsebene jedoch wenig bekannt ist. Keines seiner Bücher,-obwohl weltweit verbreitet (z.B. auch in Russisch, Chinesisch),- ist bis heute ins Deutsche übersetzt. Dabei ist sein Wirken untrennbar mit der Verbesserung von Produktivität durch Qualität verbunden [2].
Henning Kirstein

Eine neue Unternehmens - Philosophie

Ursache für das Bekanntwerden der Deming-Philosophie war eine legendäre Fernsehsendung im amerikanischen Fernsehen mit dem Titel 'Wenn Japan kann, warum wir nicht?' [3]. Hier wurde die amerikanische Nation mit dem Namen Deming bekanntgemacht, der seitdem auch der westlichen Fachwelt ein Begriff ist.

Die Grundaussage von Deming ist in vielen Punkten ebenso simpel wie einleuchtend, in manchen Punkten für unser bisheriges betriebsorganisatorisches Denken jedoch revolutionär. Er hat seine Lehren im wesentlichen durch eine Vielzahl von Seminaren entwickelt, die als sogenannte Vier-Tage-Seminare inzwischen zum Klassiker avancierten und in seinem Buch 'Qualität, Produktivität und Wettbewerbsposition [4] zusammengefasst sind. Herzstück dieser Philosophie sind die sogenannten 14 Punkte die inzwischen zwar mehrfach variiert, in ihrer Grundaussage jedoch immer die gleiche Aussagekraft behalten haben. Je intensiver und länger man sich mit den 14 Punkten befasst, desto mehr wird man ihren umfassenden Gestaltungsgehalt erkennen.

In Deutschland haben bisher nur wenige Firmen die Deming-Philosophie in ihrer Unternehmensstrategie verankert. Die Kenntnis von
Demings Lehre ist hier einfach noch nicht ausreichend vorhanden. Für den deutschen Produktivitäts- und Qualitätsfachmann sollte es aber eine Selbstverständlichkeit sein, die Grundzüge der Deming-Philosophie zu kennen. Denn die 14 Punkte sind der Grundstein für die ebenfalls bekannte Demingsche Reaktionskette (Bild 2), die letztlich die Sicherheit der Arbeitsplätze und den Gewinn eines Unternehmens auf das Vorhandensein von Qualität zurückführt:




Bild 2: Demingsche Reaktionskette als Grundlage für die Sicherung von Arbeitsplätzen durch Qualität.


Die Grundhaltungen

Deming sieht seine 14 Punkte in Grundhaltungen gebettet, ohne deren Erfüllung es ihre Umsetzung in die Praxis nicht für möglich hält:

  1. Jede Aktivität kann als Prozess gesehen und immer weiter verbessert werden.

  2. Problemlösungen allein genügen nicht, fundamentale Änderungen sind erforderlich.

  3. Die Geschäftsleitung muss handeln; es reicht nicht aus, dass sie Verantwortung übernimmt.


Die 14 Deming- Punkte

Im folgenden wird zu jedem Punkt zunächst die von Deming stammende Kurzerklärung in freier Übersetzung gegeben.

1 Unverrückbares Unternehmensziel

Schaffe ein feststehendes Unternehmensziel in Richtung ständiger Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen.


Man kann darüber diskutieren, welcher der 14 Punkte der wichtigste ist. Alle haben ihre Bedeutung, doch ist dieser erste Punkt der Eckpfeiler der Demingschen Lehre. Nur die Unternehmensleitung kann Unternehmensziele festlegen, die sich daraus ergebenden Langzeitstrategien definieren und eine entsprechend koordinierte Politik verfolgen. Alle diese Vorgänge müssen allen Mitarbeitern vermittelt werden.


2 Der neue Denkansatz


Um wirtschaftliche Stabilität sicherzustellen, ist ein neuer Denkansatz nötig. Wir sind in einer neuen Wirtschaftsära.


Mit allgemein akzeptierten Fehlerquoten, Verspätungen, fehlerhaftem Material oder fehlerhafter Arbeitsausführung können wir nicht länger erfolgreich sein. Prozessverbesserung erhöht die Ausbringung, reduziert Ausschuss und Nacharbeit und damit Verschwendung an Maschinenzeit, Mannstunden und Material. Gute Produkte erhöhen die Kundenzufriedenheit.


3 Keine Sortierprüfungen mehr


Beende die Notwendigkeit und Abhängigkeit von Vollkontrollen, um Qualität zu erreichen.


Sortiervorgänge sind das Einverständnis, dass der Prozess nicht in der Lage ist, ausnahmslos fehlerfreie Produkte zu liefern. Darüber hinaus machen einfache, in jedem DGQ-Kurs über elementare Statistik gezeigte Experimente das Informationsdefizit jeder Prüfung deutlich. Qualität kann nicht erprüft, sie muss erzeugt werden.


4 Nicht unbedingt das niedrigste Angebot berücksichtigen


Beende die Praxis, nur das niedrigste Angebot zu berücksichtigen


Der 'billige' Einkauf erweist sich nur zu oft als besonders teuer, wenn in der Fertigung Schwierigkeiten auftreten oder fehlerhafte Teile zum Kunden gelangen. Daher stütze dich auf aussagekräftige Messgrössen über die Qualität. Arbeite mit einem Anbieter und errichte eine langfristige Verbindung mit ihm, die auf Loyalität und Vertrauen basiert. Dieses Gebot ist auch die Basis aller Just-in-Time-Programme. Sie stehen und fallen mit der Qualität der Zulieferungen.


5 Verbessere ständig die Systeme


Suche ständig nach Fehlerursachen, um alle Systeme für Produktion und Dienstleistungen sowie alle anderen im Unternehmen vorkommenden Tätigkeiten auf Dauer zu verbessern.


Diese Kernaussage betrifft die Verbesserung der Produktivität im Unternehmen. Eine umfangreiche Literatur (z.B. [1]) zeigt dazu Mittel und Wege. Deming hat dazu das Gedankenmodell PDSA entwickelt (Bild 3)




Bild 3: Demings Management Denkmodell:

Planen - Ausführen - Studieren - Handeln


6 Schaffe moderne Anlernmethoden


Schaffe moderne Anlernmethoden und sorge für Wiederholtraining am Arbeitsplatz.


Der Mitarbeiter muss nicht nur darin unterwiesen werden, wie er seine Arbeit zu tun hat. Er braucht Verständnis für den Zusammenhang, in dem seine Arbeit steht und für die Abläufe in seinem Bereich. Qualifizierte und motivierte Menschen sind die wertvollste Ressource eines Unternehmens.


7 Sorge für richtiges Führungsverhalten


Schaffe moderne Führungsmethoden, die sich darauf konzentrieren, dem Menschen zu helfen, seine Arbeit besser zu verrichten.


Überwachung und Anleitung ist ein kritisches Glied in der Verbindung der Unternehmensleitung mit den Werke vor Ort. Moderne Vorgesetztentätigkeit ist ein Schlüsselinstrumentarium in einem Unternehmen, weil der Vorarbeiter oder Meister in der Interpretation der Anweisungen von oben einen grossen Spielraum hat. Deshalb ist der Zeitanteil, den die Unternehmensleitung für Unterweisung aufbringt, wichtig für die Demonstration der Ernsthaftigkeit, die neue Philosophie in die Tat umzusetzen.


In diesem Punkt ist eine interessante Anmerkung zu machen: Herkömmliche Beurteilungssysteme beurteilt Deming kritisch. Sie beruhen meist auf zufälligen Abweichungen - nach oben und unten. Im übrigen arbeiten die meisten Menschen in mehr oder weniger komplexen Systemen und haben daher nur einen begrenzten Wirkungsspielraum. Damit stellt sich auch das Problem erfolgsbezogener Bezahlung neu.


8 Beseitige die Atmosphäre der Angst


Fördere die gegenseitige Kommunikation und andere Mittel, um die Angst innerhalb des gesamten Unternehmens zu beseitigen.


Angst entsteht immer dann, wenn der einzelne das Gefühl der Ohnmacht gegenüber anderen - etwa seinen Vorgesetzten - oder dem System hat, in Dingen, die sein Leben oder seine Arbeit eng berühren. Es gibt zahllose Beispiele, wie auf allen Ebenen der Hierarchie aus Angst falsch gehandelt wird. Einige besondere Häufige Fälle:


Abhilfe kann nur eine völlige änderung des Betriebsklimas schaffen. Deshalb wird dieser Punkt als einer der wichtigsten im gesamten 14-Punkte Programm angesehen. Manche halten ihn für so überragend wichtig, dass sie sagen, dass bei Erfüllung dieser Forderung alle anderen Punkte Selbstläufer sind.


9 Beseitige Barrieren


Beseitige die Grenzen zwischen Bereichen.


Jeder Mitarbeiter muss sich als Glied eines Teams verstehen, um Probleme vorauszusehen und zu lösen. Unsere Organisationen sind aber vorwiegend in der Senkrechten organisiert. Da oft hochspezialisierte Fachabteilungen nebeneinander operieren, ist eine Querverbindung durch eine Teamorganisation um so wichtiger.


10 Vermeide Ermahnungen


Beseitige Slogans, Aufrufe und Ermahnungen


Derartiges ist wenig geeignet, in einem Unternehmen Qualitätsarbeit zu fördern. Nur das gute Beispiel der Vorgesetzten im Rahmen einer durchschaubaren Organisation schafft die Voraussetzungen für eine Verbesserung der Qualität.


11 Setze keine festgeschriebenen Standards


Beseitige Leistungsvorgaben, die zu erreichende Ziele willkürlich festschreiben.


Dies ist eine für uns revolutionäre Forderung von Deming: die Produktion soll nicht nach Stückzahl, sondern nach Qualität ausgerichtet werden. Jede numerische Stückzahlvorgabe ist eine Mauer gegen die Qualität und somit auch gegen die Produktivität. Stückzahlmässige Vorgaben garantieren, dass ein Unternehmen eine einmal praktizierte Höhe an Ausschuss und Nacharbeit beibehält und sich nicht verbessert. Durch beständige Reduzierung von Ausschuss, Nacharbeit und Verschwendung ist die geplante Stückzahl einfacher und effektiver zu erreichen.


Leistungsvorgaben verursachen im allgemeinen nur ungenutzte Qualitäts- und Produktivitätsreserven. So werden schlechte Teile gefertigt, um vorgegebene Stückzahlen zu erreichen. Die Folge ist Nacharbeit. Mögliche Verbesserungen werden nicht mit vollem Einsatz angestrebt, um für die nächste Abrechnungsperiode noch Spielraum zu haben.


Die Beispiele sind mannigfaltig:


- Ein Werker kann seine Sollstückzahl nur unter Inkaufnahme von 10 % Nacharbeit fertigen. Auf diese Weise liefert er 100 % Teile ab, jedoch nur 90 % brauchbare. Er könnte zwar 97 % brauchbare Teile liefern, würde dann aber die Leistungsvorgabe von 100 % nicht einhalten.


- Ein Budgetverantwortlicher, der 5 % Einsparung bringen soll, aber 7 % bringen könnte, wird sich 2 % für die nächste Zielvorgabe aufheben, da es für nächstes Jahr bei eventuell nur 3 % möglicher Einsparung seine Vorleistung nicht honoriert bekommt. Also bleibt er im herkömmlichen System.


12 Gestatte es, auf gute Arbeit stolz zu sein


Beseitige alles, was das Recht jedes Werkers und jedes Managers in Frage stellt, auf ihre Arbeit stolz zu sein.


Qualitätsarbeit ist Sache jedes einzelnen Mitarbeiters. Nichts kann sich schlimmer auswirken, als die berüchtigte 'innere Kündigung'. Arbeiten werden lustlos verrichtet, weil es nicht auszumachen scheint, ob man mechanisch oder mit Leib und Seele bei der Sache ist. Die Loyalität zum Unternehmen leidet; persönliche Interessen werden auf Freunde, Freizeit, Verein und Hobby konzentriert.


13 Fördere die Ausbildung


Schaffe ein durchgreifendes Ausbildungsprogramm und eine Atmosphäre der Selbstverbesserung für jeden einzelnen.


Wenn auch heute die Notwendigkeit ständiger Fortbildung weitgehend anerkannt ist, so wird doch der dafür erforderliche Aufwand an Zeit und Geld vielfach unterschätzt. Das erweist sich in der Praxis als grosses Hemmnis bei der Einführung qualitätsfördernder Massnahmen, wie sie Deming vorschlägt. Unterlässliche Voraussetzung ist dabei die Fähigkeit zu vermitteln, systembedingte Eigenschaften (Bereich der zufälligen Einflüsse) von persönlich beeinflussbaren Eigenschaften (Bereich der speziellen Fehler) zu unterscheiden (Bild 4).



Bild 4: Prozeß-Einflüsse - Unterscheiden von zufälligen und systematischen Abweichungen sowie speziellen Fehlern ist unerlässliches Basiswissen für die Systemverbesserung; OT oberer Toleranzwert, UT unterer Toleranzwert.



14 Verpflichtung der Unternehmensleitung


Mache die ständige Verbesserung von Qualität und Produktivität zur Aufgabe der Unternehmensleitung


Dieser Punkt steht am Ende noch einmal gewissermassen als Zusammenfassung aller vorhergehenden Punkte. Das Management muss Qualitätsverbesserung wollen und sich persönlich mit den Massnahmen dazu identifizieren. Geschieht das nicht - wird z.B. die Förderung der Qualität an eine Stabsabteilung delegiert - bewegt sich nichts im Unternehmen. Angesichts oft jahrzehntelang bewährter Traditionen ist es schon schwierig genug, überhaupt etwas zu bewegen. Je grösser das Unternehmen, um so mehr Zeit ist für Änderung eingefahrener Denkweisen anzusetzen.


Literatur

  1. 1.Kirstein, H.: Ständige Verbesserung als Schlüssel für Produktivität durch Qualität. Qual. und Zuverl. 33 (1988) S. 677-683; dort weitere Literaturhinweise

  2. 2.Deming, W.E.: Out of the crisis. Massachusetts Institute of Technology, Massachusetts, USA, 1986

  3. 3.NBC-TV-Sendung: 'If Japan Can, Why Can't We?', USA 1980

  4. 4.Deming, W.E.: Quality, Productivity, and Competetive Position. Massachusetts Institute of Technology, Massachusetts, USA, 1982

Netzwerk

In einer Zeit, wo wir mit neuen Managementmethoden überschwemmt werden ist es hilfreich, sich auf die Grundphilosophie, wie sie Demings 14 Punkte darstellen,- zurückziehen zu können. In Gross Britanien ist die British Deming Association aktiv dabei, die Demingphilosophie zu verbreiten und anzuwenden; in Deutschland gibt es nichts vergleichbares. Wer an zusätzlicher Information oder an einem Meinungsaustausch im deutschsprachigen Raum interessiert ist, kann mit Henning Kirstein Kontakt aufnehmen.
Eine weitere informative Quelle mit guter Darstellung in deutscher Sprache ist das Schweizer Deming Institut The Swiss Deming Institut.